«Qualität kennt keine Kompromisse»

Im Grand Resort Bad Ragaz bildet das Restaurant «Memories» eine Oase der Gastlichkeit. Hier waltet der mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnete Spitzenkoch Sven Wassmer. Ein Gespräch über das Kochen, Geschmackswelten und die Frage, was Spitzenküche und Mercedes-Benz gemeinsam haben.

30. November 2022

Herr Wassmer, Gratulation zum dritten Michelin-Stern! Erstklassige Gastronomie bedeutet nicht nur exquisites Essen – was gehört sonst noch dazu?
Es ist wichtig, neue Wege der Gastlichkeit zu beschreiten. Das heisst, eine Wohlfühlumgebung zu schaffen, in der rundum alles stimmig ist. Das fängt beim Essen und bei der Getränkebegleitung an, geht über in die Einrichtung und Ausstattung des Restaurants und mündet darin, wie wir auf jeden Gast ganz individuell zugehen. Idealerweise bildet jeder Tisch eine kleine Welt für sich.


Was sind die Trends bei der Ausstattung eines Spitzenrestaurants?
Tradition mit Innovation verbinden. Wir haben das Glück, dass im Restaurant «Memories» auch die Geschichte des Quellenhofs Bad Ragaz lebendig ist. Für die Innenausstattung haben wir helle Esche gewählt, die offenporig ist und die Sinne beruhigt. Da fühlt man sich auf Anhieb wohl. Mit Materialien wie Holz und Stein wollen wir die Naturverbundenheit ins Restaurant bringen.


Nach intensiven Arbeitsjahren im Ausland konzentrieren Sie sich wieder auf die Heimatküche. Was bedeuten lokale Produkte und nachhaltiges Wirtschaften für Sie?
Ein Produkt gewinnt allein schon an Nachhaltigkeit, wenn es aus der näheren Umgebung stammt. Je kürzer die Wege, desto frischer die Produkte in der Küche. Mit einheimischen Gerichten gelingt es mir auch am besten, Emotionen zu wecken. Das ist einer der wichtigsten Punkte in meiner Küche: Niemals Abstriche bei der Qualität der Produkte machen. Und alles so gut wie möglich verarbeiten und auf den Punkt bringen, bis sich ein neuer, tieferer Geschmack entwickelt. Das ist der Schlüssel für alles.


Wie kommt man zu den besten Produkten?
Dazu braucht es vor allem Erfahrung. Über die Jahre schart man einen Grundstock an Produzenten um sich – Lieferanten, die man gut kennt. Trotzdem ist es wichtig, stets empfänglich für Neues zu bleiben. Wir gehen oft in die Natur und sammeln Zutaten, trocknen, salzen oder fermentieren sie. Ein wichtiger Ansatz ist es, unser kulinarisches Erbe wiederzubeleben. So stösst man paradoxerweise auch immer wieder auf Neues.

 

Welche Kernbotschaft möchten Sie bei der Kreation von Speisen rüberbringen?
Ich pflege eine minimalistische, auf den Punkt gebrachte Alpenküche – nach dem Motto: «Je länger ich koche, desto mehr lasse ich weg.» Ich möchte die Schönheit in den Produkten erkennen. Wir gehen nie dogmatisch vor, sondern suchen das natürliche Wachstum und den tieferen Sinn.

 

Eines Ihrer Zitate lautet: «Stetig auf der Suche, um einen neuen, noch tieferen Geschmack zu finden – mit noch weniger».
Mein Team und ich lassen neue Geschmackserlebnisse entstehen – etwa durch Fermentieren. Das reizt uns sehr. Randen oder Gerste sind altbekannte Naturprodukte, doch wenn man sie mit bestimmten Techniken verarbeitet, erschliessen sich ganz neue Geschmackswelten. Für die internationale Spitzengastronomie werden heute Produkte in der ganzen Welt herumgeflogen. Das ist meiner Meinung nach das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Restaurants, die darauf bauen, verlieren zusehends ihre Existenzberechtigung. Deshalb kochen wir so, wie wir kochen. Ich bin überzeugt: Ein Restaurant wie unseres wird auch in zehn Jahren noch topaktuell sein.

 

Sie haben die Vision einer alpinen Küche entwickelt – geben Sie uns Beispiele für typische Zutaten?
Überraschendes kann aus Nadelhölzern entstehen. Aus feinen Tannenästen gewinnen wir Tannenöl. Junge Zapfen, quasi die «Äpfel» der Tanne, kochen wir in Zuckersirup ein. Aus der Arve lassen sich fantastische Essenzen kreieren. Jeder kennt diese Nadelbäume, ist aber meist überrascht, wenn er erfährt, was sich alles daraus machen lässt. Gerste, Hanfnüsse, Sauerampfer und Wildkräuter sind weitere Naturprodukte.


Genuss und Gesundheitsförderung sind nicht unbedingt Synonyme, schliessen sich aber auch nicht aus. Worauf achten Sie hier?
Eigentlich ist es doch so: Wer bewusst seine Produkte aussucht, schonend mit ihnen umgeht und Ausgewogenheit in seinen Speiseplan bringt, ernährt sich automatisch gesund. Die Balance macht es aus. Kräuter, hochwertige Fette wie Alpenbutter, nicht zu viel, aber gutes Fleisch: Da entstehen Effekte, die auf die Gesundheit wirken. Früher dachte ich auch, dass die Gesundheitseffekte in den Kräutern liegen. Heute weiss ich: Das Gesamtpaket macht es aus. Frische, naturbelassene Produkte, die richtig verarbeitet werden, sind ein Synonym für gesunde Ernährung.


Wie gelingt es Ihnen, ein kulinarisch verwöhntes Publikum immer wieder zu überraschen?
In erster Linie bemühen wir uns um Ehrlichkeit. Meine Küche ist total offen. Es gibt weder Grenzen noch Barrieren. Die Energie kann fliessen, jeder kann hereinschauen. Das ist unsere Grundbasis – auf Augenhöhe sein, nahbar und fassbar. So holen wir die Gäste ab. Indem wir ungewohnte Produkte verwenden oder altbekannte anders verarbeiten, entstehen Aha-Erlebnisse. Immer im Zentrum steht: Wie begegnen wir einem Gast, wie kommunizieren wir mit ihm, wie holen wir im Voraus Informationen ab, um zu wissen, wo wir ihn platzieren, wie wir mit ihm umgehen. Meine Devise lautet: Essen, Getränke, Service und Räumlichkeit müssen stets zusammenspielen. Daraus entsteht ein Ganzes, das grösser ist als die Summe seiner Elemente, und eine sehr spezielle Energie.


Sie sind Ambassador von Mercedes-Benz. Welche Werte der Marke ragen für Sie heraus?
Auch hier gilt: Ehrlichkeit und Transparenz. Höchste Qualität kennt keine Kompromisse, also das Beste oder nichts. Genau dafür stehe auch ich ein. In den Fahrzeugen von Mercedes-Benz steckt viel Passion, genau wie in meinen kulinarischen Kreationen. Viele Wege und Erfahrungen kommen da zusammen.


Wie hoch ist die Belastung, sich als Spitzenkoch permanent beweisen zu müssen – und wie lautet Ihr Entspannungs-Rezept?
Ich spüre keinen Druck und fühle mich auch nicht in einer Defensivrolle. Wir agieren mit unserer Küche auf höchstem Niveau. Dass uns dies nun auch von aussen bestätigt wird, ist unglaublich schön. Mit unserer Schweizer Alpinküche erhalten wir so viel Bestätigung, dass wir in der ganzen Welt bekannt werden. Das möchte ich nun konsequent weiterentwickeln. Drei Michelin-Sterne? Ich habe schon eine wunderbare Frau und zwei Kinder – und damit schon drei Sterne zu Hause. Was soll da noch schiefgehen?

 

Das Beste oder nichts
«Meine Küche ist wie ich: authentisch»
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