Swiss-made Robotik sorgt in Las Vegas für grosses Aufsehen

«Die Neugierde auf unsere Technologie war riesig», erzählt Marco Salerno vom Start-up Foldaway Haptics in Lausanne. Er hat Robotermodule für das Mercedes-Benz VISION AVTR erfunden. 

9. November 2020


An der CES in Las Vegas geht es längst um viel mehr als nur um Unterhaltungselektronik, dem ursprünglichen Kern dieser Messe. Hier geht es um Zukunft, um Visionen und um die Verschmelzung unseres menschlichen Alltags mit der Elektronik.
 

Die richtige Bühne also für Mercedes-Benz, um das VISION AVTR vorzustellen. Dieses Showcar sieht nicht nur futuristisch aus, es ist es auch. Im VISION AVTR kommen viele neue Ideen erstmalig zum Einsatz. Dazu gehört unter anderem eine neue Art von Allradantrieb der Elektromotoren, der das VISION AVTR auch seitwärts fahren lässt. Die Hochleistungsbatterie im VISION AVTR ist rein organisch und hundertprozentig recycelbar. Beim Showcar geht es aber auch um die Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Dafür wurden unter anderem die Origami-Robotermodule am Heck des Fahrzeugs entwickelt.

Die Technologie der «Foldaway Pixel», wie die Robotermodule eigentlich heissen, ist das Ergebnis langjähriger Forschungsarbeit des Robotiklabors der EPFL (École polytechnique fédérale de Lausanne). Entwickelt wurden sie unter der Leitung von Stefano Mintchev und Marco Salerno.

Die Köpfe hinter der Foldaway-Pixel-Technologie, Marco Salerno (links) und Stefano Mintchev (rechts).

Die Köpfe hinter der Foldaway-Pixel-Technologie, Marco Salerno (links) und Stefano Mintchev.

Herr Salerno, wie waren die Reaktionen auf das Fahrzeug, als es an der CES 2020 in Las Vegas präsentiert wurde?

Wir haben beim ersten Auftritt des VISION AVTR live miterlebt, wie die breite Öffentlichkeit vom Morphing-Fahrzeug verblüfft war. Die Neugier auf die Technologie dahinter war riesig. Als das VISION AVTR nach der ersten Veranstaltung viral ging und das Interesse auf der ganzen Welt weckte, waren wir sehr stolz.
 

Welchem Zweck dienen die Roboter-Pixel im Showcar?

Mercedes-Benz hatte die Vision eines Fahrzeugs, das seine Form verändern kann. Das nicht mehr nur wie ein Objekt aussieht, sondern wie ein Lebewesen wirkt. Unsere Foldaway-Pixel können sowohl der Aerodynamik dienen als auch einer ganz neuen Art von Kommunikation: zwischen Mensch und Fahrzeug, zwischen Fahrzeug und Aussenwelt, aber auch Fahrzeuge könnten untereinander kommunizieren.

Zwischen Vision und Realität ist ja oftmals ein grosser Unterschied. Was glauben Sie, wozu werden die Foldaway-Pixel in Zukunft in der Automobilindustrie wohl am ehesten eingesetzt werden?

Für die Interaktion mit Menschen, also eine Mensch-Roboter-Interaktion. Zum Beispiel haben Sie heute vielleicht einen Knopf in Ihrem Auto, der ein passives Element ist, ein Ein-Aus-Schalter. In Zukunft können wir aktive Mechanismen integrieren, die aus einem banalen Knopf ein Programm machen, das zum Beispiel eine Reaktion auf das ist, was gerade im und um das Fahrzeug herum geschieht. Wir sind überzeugt, dass unsere Technologie einen Teil dazu beitragen kann, die Interaktion zwischen Mensch und Technologie zu vereinfachen.


Wie ist die Idee zu Foldaway-Pixel entstanden und wie kam es zur Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz?

Angefangen hat alles 2017, als Stefano Mintchev und ich gemeinsam die Idee entwickelten, faltbare Origami-Roboter für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine einzusetzen. Auf einer Konferenz zum Thema Mensch-Maschine-Interaktion präsentierten wir 2018 unsere Technologie. Ein Mercedes-Benz Ingenieur war so fasziniert von unseren Origami-Robotern, dass er uns für eine Präsentation nach Stuttgart einlud, an der auch Ingenieure der Showcar-Abteilung anwesend waren und uns nach unserem Auftritt den Auftrag erteilten.


Was bedeutet das Projekt AVTR für Sie persönlich?

Die Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz war eine grossartige Gelegenheit, die Kerntechnologie des Unternehmens und unsere persönlichen Fähigkeiten weltweit zu präsentieren. Wir sind dem Mercedes-Benz Team sehr dankbar für das Vertrauen und die spannende Zusammenarbeit.


Haben Sie den AVTR selbst einmal gefahren?

Nein, leider nicht. Ich war zwar bei der Montage des Autos und der Integration unseres Systems dabei, aber zu einer Testfahrt des Showcars hatten wir leider keine Gelegenheit.


Wie sehen Sie als Wissenschaftler die Zukunft des Automobils?

Als Wissenschaftler stelle ich mir die Zukunft der Autos minimalistisch vor. Fahrzeuge werden immer funktionaler – das Fahren selbst rückt dabei in den Hintergrund, ein bisschen so wie Sofas auf Rädern. Andererseits wird es aber wohl auch immer Autoliebhaber geben, die gerne und selbst Auto fahren – auch für diese Gruppe wird es weiterhin Fahrzeugmodelle geben. Ich zähle mich selbst zu dieser Gruppe, denn ich fahre einen Oldtimer.


Was hätten Sie gerne erfunden und warum?

Aus meiner Sicht war die Erfindung des Elektromotors ein Meilenstein, ein Wendepunkt der Geschichte. Die Entdeckung des elektrischen Magnetismus und alle auf dieser Erkenntnis resultierenden Erfindungen von Nikola Tesla haben die Welt nachhaltig verändert und werden es auch in Zukunft tun. Das ist definitiv die Erfindung, die ich gerne gemacht hätte. Sie beeinflusst unser Leben bis heute – und mehr denn je.  
 

«Foldaway Pixel» made in Switzerland.

«Foldaway Pixel» made in Switzerland.

Das Heck des VISION AVTR.

Das Heck des VISION AVTR.