
Die Passmaschine
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Die Sportlichkeit des neuen Mercedes-AMG SL 63 ist dank echter AMG-Gene auf bisher unerreichtem Niveau angekommen. Zur Feier der siebten SL-Baureihe haben wir den Stoffdach-Roadster über sieben bedeutende Schweizer Alpenpässe bewegt.
23. September 2022
Spätabends unter Freunden auf einer Sommerterrasse in der grössten Stadt der Schweiz – wenn die Spaghettiteller zur Tischmitte geschoben sind und die Rotweingläser nochmals nachgeschenkt werden – sagt einer der anwesenden Autokenner: «Aha, du hast da also den neuen Mercedes-AMG SL zur Probe? Das ist jetzt, musst du wissen, die siebte Generation dieser Baureihe. Ihr zu Ehren würde ich damit nonstop über sieben Alpenpässe brausen.» Schon überredet.So beginnen die schönsten Reisen – spontan, gefühlsbestimmt und mit wenig mehr Ballast, als man ohnehin stets dabeihat. Frühmorgens auf zu einer magischen Achterbahnfahrt ins alpine Herz der Schweiz. Der Eintritt in die Bergwelt erfolgt über die Glarner Route. Und bis zur Rückkehr nach Zürich wird hoffentlich auch die Seele nachgekommen sein.
Der Mercedes-AMG SL 63 4MATIC+ verkörpert das Auto als Reisemaschine: ansatzlos, unmittelbar, bodenverhaftet. Mit geschärfter Optik, erstmals allradgetrieben und – nach zwei Dekaden Metallklappdach-Ära – wieder mit Stoffverdeck am Start, ist er die Neuauflage eines legendären Traumwagens, der auf eine ruhmreiche Geschichte zurückblickt.
Innere Werte
In tiefschwarzer Lackierung – dazu schwarzes Lederinterieur und schwarzes Softtop – ist unser SL-Roadster gehalten. Dabei ist die Konfigurierungspalette immens. Es gibt ihn beispielsweise auch in «Sonnengelb» oder «Patagonienrot bright», aber wieso äusserlich auffallen, wenn es vornehmlich um innere Werte geht? Zu diesen gehört auch das 2+2-sitzige Layout, das die Alltagstauglichkeit verbessert, selbst wenn hinten bloss Kleinkinder happy werden oder zusätzliche Gepäckstücke standesgemäss Platz finden.
Mit dem Massiv des mächtigen Clariden im Blickfeld, saugt sich der Mercedes-AMG SL 63 dem grauen Faden der Klausenpass-Route entlang. Die AMG-Spezialisten in Affalterbach haben den SL erstmals zu einem Sportwagen mit Racing-Qualitäten gemacht, das wird spätestens hier klar. Boulevard-Cruiser? Das war einmal. Eine markante Streckenkrümmung, kurz und hart angebremst, lässt die Fliehkräfte an Reifen, Aufhängung, Chassis und Nackenmuskeln zerren. Dessen ungeachtet zieht der Mercedes-AMG SL 63 glatt wie die Klinge einer Abkantmaschine seinen Schnitt durch die mit lockerem Baumbestand durchsetzte Grünfläche.
Zwar steht der wuchtige Gotthard im Zentrum unserer Sieben-Pässe-Fahrt. Doch in Andermatt wenden wir uns erst mal nach Osten. In Serpentinen und durch etliche Tunnels geht es steil himmelwärts.
Im «Race»-Mode
Meine Hände umfassen den dicken Kranz des Lenkrads – AMG-typisch mit abgeflachter Unterseite und zwei Shift-Paddles aus Aluminium. Das Herunterschalten mehrerer Gänge im «Race»-Mode, einem von sechs Fahrprogrammen, wird mit einem kanonenartigen Geräusch aus vier quadratischen Auspuffrohren quittiert. Vollmundig nimmt der 4,0-Liter-Biturbo-V8 mit 585 PS Gas an. Ich spüre eine immense Kraft, die sich vom rechten Pedal so direkt auf alle vier Räder überträgt, als hätte mir jemand das angewandte Geheimnis eines permanenten Maximaldrehmoments verraten. Nahe am Schwerpunkt verankert, geniesse ich das perfekte Zusammenspiel von Motor, Lenkung, Fahrwerk und Bremsen in dieser grossartigen (S)Passmaschine.
Das Prinzip Fahren
Vom Klosterstädtchen Disentis/Mustér nehmen wir Kurs auf den Lukmanier, einen punkto Strassenunterhalt etwas vernachlässigten Pass. Vor allem auf der Tessiner Seite zeigt sich der Belag von seiner rumpeligsten Seite. Der SL quittiert’s mit sportlicher Härte, ohne aber die Wirbelsäule zu beleidigen. Bei Blenio quert um 9.13 Uhr vor uns ein Reh die Route – offenbar eine Spätaufsteherin.
Der Mercedes-AMG SL 63 verkörpert das Prinzip Fahren mit aller Entschiedenheit – nur wenige Sportwagen bringen diese Verdichtung zustande, die einen völlig mit einbezieht in das Ereignis Bewegung. Von Biasca aus über die Gotthard-Südrampe, ab Airolo wieder kurviges Geläuf. Natürlich auf der alten Passstrasse «Tremola», deren verkehrstechnische Bedeutung im gleichen Masse abnimmt, wie ihr historischer Wert steigt. Kunstvoll angelegt, windet sie sich in mehr als zwei Dutzend gemauerten Kehren über tausend Höhenmeter hinauf zur Passhöhe.
Performance-Luxury
Mercedes-AMG ist klar im Bereich Performance-Luxury positioniert. Übertragen auf unser Testfahrzeug heisst das: kompromisslose Fahrmaschine zum einen, Wohlfühl-Lounge mit Infotainment-System inklusive des intelligenten persönlichen Assistenten MBUX (Mercedes-Benz User Experience) zum anderen. Ein meisterhaft zelebrierter Spagat.
Der berüchtigten Schüttelpiste begegnet der Mercedes-AMG SL 63 mit einem beachtlichem Schluckvermögen der Aufhängung, was sich in einer Art tresorhaften Gravität manifestiert. Nach der Einfahrt zum Furkapass ab Hospental biegt vor mir ein Lieferwagen betont langsam ab. Ich fahre bewusst nah ran – da erfolgt aus heiterem Himmel eine automatisch ausgelöste Vollbremsung. Danke, SL! Aber im SL-eep-Mode war ich eigentlich noch nicht.\
Scheinbare Masselosigkeit
An diesem Tag zeigt sich die Furkastrasse spätvormittags eng, etwas zu kleinteilig für den SL, denn es bewegen sich auch noch jede Menge Velos, Motorräder, SUV-Dickschiffe und Wohnmobile darauf. Ist aber egal, denn diese magnetoiden Karbonbremsen vermitteln das sichere Gefühl, jederzeit, wenn es haarig werden sollte, stehen bleiben zu können. Einfach stehen bleiben. Das Bremsen ist paradoxerweise das eigentliche Ding des Mercedes-AMG SL 63, der dank seiner scheinbaren Masselosigkeit am Schuhwerk des Fahrers hängt wie ein Jo-Jo.
«Tolles Auto», sagt auf der Passhöhe ein 80-jähriger BMW-Fahrer im himmelblauen Poloshirt. Auf dem Kopf trägt er bezeichnenderweise eine AMG-Mütze. Er sei, wie er stolz betont, immer noch aktiver Hobby-Rallyefahrer. Bei der steilen Passabfahrt fehlt eigentlich nur, dass der Mercedes-AMG SL 63 rekuperiert wie sein elektrischer Blutsverwandter AMG EQE, um ein Quantum der aufgewendeten Energie zurückzugewinnen.
Kaum an der Rhone-Talsohle bei Gletsch (VS) angelangt, steigt unsere Route sofort wieder die Grimsel-Serpentinenpiste empor. Die Direktheit, mit der das Auto die Fahrbahn abscannt, erzeugt eine Form von Wachheit, wie sie auch der stärkste Espresso nicht herzustellen vermag.
Linthal (GL) – Altdorf (UR), 46 km
Wechselnde, malerische Panoramen: Wald, Wiesen, Felswände, Hochebene, oft Kühe oder deren Mist auf der Strecke.
Andermatt (UR) – Disentis/Mustér (GR), 32 km
Hier brachte die fünfspännige Postkutsche ab Mitte des 19. Jahrhunderts den Tourismus zum Blühen.
Disentis/Mustér (GR) – Acquarossa (TI), 48 km
War im 12. Jahrhundert der Lieblings-Alpenpass von Friedrich I., genannt «Barbarossa». Seit dem Millennium ganzjährig befahrbar.
Airolo (TI) – Andermatt (UR), 27 km
König der Alpenpässe. Die alte gepflasterte Passstrasse lehrt heute noch das Zittern («La Tremola»).
Hospental (UR) – Gletsch (VS), 28 km
Steil, kurvig, eng, wunderschön.
Gletsch (VS) – Innertkirchen (BE), 32 km
Majestätische Kurven, teils breite Strassen, beste Panoramablicke.
Innertkirchen (BE) – Wassen (UR), 45 km
Intensives Landschaftserlebnis, überirdische Ausblicke und Achterbahnfeeling.
KLAUSEN
OBERALP
LUKMANIER
GOTTHARD
FURKPASS
GRIMSEL
SUSTEN
Trocken abgefedert
Über Spitzkehren und Geraden geht’s im langen Zickzack nach oben. Nach einer quer durchfahrenen Haarnadel geniesse ich, wie meine Ellenbogen nachpendeln, nachdem das hydraulische Aktiv-Fahrwerk längst trocken abgefedert hat. Dazu kreiert der Mercedes-AMG SL 63 seine eigene Art von Geschwindigkeit, die den Aggregatzustand einer Gratwanderung wohltuend kultiviert.
Auf der Grimsel-Route, ausgebaut zu einer modernen Hochalpenstrasse, wären mit dem neuen SL auf den Geraden zwischen zwei Haarnadeln teils aberwitzige Geschwindigkeiten möglich, selbstverständlich nur in der Theorie. Kaum die Grimsel-Passhöhe überwunden, ist die Strecke zu weiten Teilen «nah am Wasser» gebaut, gleich drei Stauseen – Räterichsbodensee, Grimselsee, Oberaarsee – sind von hier erreichbar.
Sportliches Genussfahren
Nach sechs überquerten Alpenpässen markiert der Susten ab Innertkirchen nochmals ein starkes Stück. Nicht zuletzt wegen seiner kurzen Tunnels mit schnellen Licht-Schatten-Wechseln ein bisschen heimtückisch – auch weil er so idyllisch anmutet und wunderbar eingebettet ist in die Alpenwelt zwischen den Kantonen Bern und Uri. Die Konzentration sollte auch nach sechs Stunden Powerplay auf keinen Fall nachlassen, denn das könnte hier gefährlich werden. Fehlende Leitplanken vor Abgründen mahnen zur Demut.
Interessanterweise gleicht der Mercedes-AMG SL 63 4MATIC+ mit seiner Kernidee des sportlichen Genussfahrens dem alten 300 SL Roadster von 1954 in seinem Wesen mehr als die späteren Generationen. Er ehrt aber auch deren mondäne Lässigkeit.
Zurück in Wassen, werden wir an der Gotthard-Nordrampe Zeugen eines Rückstaus gigantischen Ausmasses – und das an einem Montag. In unserer Fahrtrichtung jedoch bietet die A2 bergab genügend Schwung für den Home-Run – denn Reisen bedeutet Unterwegssein, und Ziele sind nur brauchbar, solange sie noch nicht erreicht sind.
Die Bucket-List unseres Autors ist mit der hier protokollierten Alpenpässe-Tagestour einen Punkt kürzer. Der Energie- und Mobilitätsspezialist Andreas Turner schreibt am liebsten über faszinierende Fortbewegungsmittel. Der Mercedes-AMG SL 63 4MATIC+ fällt für ihn klar in diese Kategorie.
Sieben SL-Generationen
Der Mercedes SL wird seit 1954 angeboten. Das Kürzel steht für «Sport Leicht». Aktuell ist die siebte Modellgeneration am Start
Lassen auch Sie sich begeistern!
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