«Es braucht mehr unverbindliche Probefahrt-Gelegenheiten»

Die Akzeptanz für die Elektromobilität kommt nicht von heute auf morgen: Alexander Erath, Verkehrsplaner und Mobilitätsexperte an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, über «Early Adopters», Hemmschwellen und Nachzügler.

 

01. März 2023

 

Gemäss einer aktuellen Umfrage des Forschungsinstituts LINK bei über 1000 Personen in der Schweiz argumentieren die meisten Kritiker der Elektromobilität auf Basis mangelnder Erfahrung. Entsprechend sind ihre Aussagen sachlich wenig fundiert. Wer hingegen bereits elektrisch fährt, ist mit Reichweiten und Preis-Leistungs-Verhältnis zufrieden. Was den Ausbau der Ladeinfrastruktur betrifft, sieht eine Mehrheit Staat und Gemeinden in der Pflicht. Die Details zur Befragung finden Sie hier. Alexander Erath, FHNW-Professor für Verkehr und Mobilität, interpretiert die Umfrageergebnisse.

Herr Erath, laut einer aktuellen LINK-Umfrage ist mehr als die Hälfte aller Autofahrerinnen und Autofahrer noch nie in einem Elektroauto gesessen. Woran liegt’s – fehlende Information, mangelndes Interesse?

Dieses Resultat überrascht mich eigentlich nicht. Das Interesse ist bei den Leuten wohl da, aber da die meisten bereits ein eigenes Auto nutzen, gibt es im Alltag wenig Gelegenheit, mal bei Freunden oder Bekannten mitzufahren. Und dass im Bekanntenkreis schon jemand ein Elektroauto besitzt, ist auch noch längst nicht die Regel.

 

Wer tatsächlich Interesse an der E-Mobilität hat, kann doch einfach zum Händler gehen und eine Probefahrt machen.
Ja, aber das sehe ich schon als grössere Hürde. Die Leute denken dann: «Der will mir doch nur etwas verkaufen, schickt mir Prospekte oder ruft mich zu Hause an.» Besser ist es, wenn Händler sich an öffentlichen «Tagen der Elektromobilität» und ähnlichen Anlässen mit Möglichkeiten zu Probefahrten engagieren. Es braucht mehr solche unverbindlichen, niederschwelligen Gelegenheiten. Garagenbetriebe, die konsequent elektrische Ersatzwagen zur Verfügung stellen, dienen der Sache ebenfalls.

 

Einer der häufigsten Kritikpunkte zielt nach wie vor auf die «fehlende Ladeinfrastruktur». Dabei gibt’s in der Schweiz bereits mehr als 7000 öffentliche Ladepunkte – also im Vergleich zu fossilen Tankstellen etwa doppelt so viele Standorte. Handelt es sich hier also um eine reine Fehleinschätzung?

Vielleicht. Es gibt in der Verhaltenspsychologie jedoch den zentralen Begriff «Loss Aversion», der nichts anderes als Angst vor Verlust bedeutet. Auch wenn dieser objektiv noch so klein ist, wird er als gravierender eingeschätzt als der Gewinn, den man daraus zieht, wenn man eine Änderung herbeiführt. Dasselbe «Loss Aversion»-Phänomen zeigt sich übrigens auch bei der angeblich ungenügenden Reichweite der Elektroautos.

 

Sind die Skeptiker also auch diesbezüglich nicht auf dem aktuellen Stand?
Das scheint der Fall zu sein. Denn bei der Energiedichte haben die Antriebsbatterien der E-Autos gerade in den letzten Jahren markant zugelegt. Natürlich gibt es eine Minderheit von Langstreckenfahrern, die gerne mal 700 Kilometer am Stück zurücklegen. Das ist mit den meisten Elektroautos noch nicht möglich. Andererseits erscheint es aber auch nicht sinnvoll, nur noch monströse, teure Batterien in die Autos einzubauen. Das höhere Gewicht hat unter anderem auch eine grössere Dimensionierung von Bremsen und Fahrwerkkomponenten zur Folge und ist unterm Strich nicht effizient.

 

Wer bereits elektrisch fährt, ist laut Studie in der Regel zufrieden mit Auto und Infrastruktur. Sorgt andererseits die Diskussion um die Stromversorgungssicherheit bei potenziellen Neukunden für Skepsis, ob sie ein E-Auto kaufen sollen?

Ja, das ist sicher so. Die Diffusionstheorie nach Everett Rogers beschreibt die Akzeptanz von Innovationen und unterteilt die Nutzer in fünf Gruppen: Innovators, Early Adopters, Early Majority, Late Majority und Laggards (Nachzügler). Die Early Adopters (frühe Übernehmer) reagieren zwar kaum auf solche Argumente und montieren stattdessen lieber eine PV-Anlage aufs Dach. Wer Veränderungen hingegen nur zögerlich annimmt, reagiert entsprechend sensibel auf alles Mögliche, das dagegensprechen könnte. So sagt sich mancher vielleicht: «Jetzt haben wir schon zu wenig Strom, und da soll ich noch ein E-Auto kaufen? Ich bin doch jeden Tag auf’s Fahrzeug angewiesen.» Schlagzeilen über Strommangellagen helfen in solchen Fällen natürlich nicht. 

 

Auch bei der Frage nach dem Recycling der Antriebsbatterien hinkt der Wissensstand der Bevölkerung dem technischen Stand der Industrie hinterher. Wie lässt sich speziell bei diesem Punkt ein Stimmungsumschwung herbeiführen? 
Die immer noch mächtigen Ölkonzerne und auch Teile der Automotiveindustrie hatten über viele Jahre grosses Interesse daran, die Elektromobilität schlechtzureden. Entsprechend wurde die fossile Technologie lange weiter gestützt, um die Gewinne zu optimieren. Aus der Umweltperspektive ergibt ein Elektroauto unterm Strich mehr Sinn als ein Verbrenner. Das ist heute schon so und das wird künftig noch viel stärker der Fall sein. Denn Verbrenner werden kaum noch entwickelt und lassen sich nicht mehr effizienter machen. Viel Entwicklungsgeld fliesst auch in Richtung Recycling und CO2-ärmere Herstellung von Batterien. Da spielt die Musik heute schon – und auch die fachliche Kommunikation geht verstärkt in diese Richtung. 

 

Die Preisparität von Autos mit elektrischem Antrieb und solchen mit Verbrennungsmotor dürfte in zwei, drei Jahren Realität sein. Werden E-Autos erst dann wirklich massentauglich?

Ich verstehe die Aussage, ein aktuelles E-Auto sei teurer, nicht wirklich. Wer pro Jahr auch nur eine durchschnittliche Anzahl Kilometer zurücklegt, fährt heute schon günstiger in Anbetracht der «Total Cost of Ownership». Das gilt auch bei steigenden Energiepreisen. Zwar habe ich Verständnis, wenn Leute vor den hohen Anschaffungskosten zurückschrecken, wenn sie die zusätzlichen 5000 Franken vielleicht nicht gerade im Portemonnaie haben. Aber da gibt’s ja mittlerweile ganz viele Finanzierungsmöglichkeiten – und die werden auch genutzt. Also von daher habe ich eher das Gefühl: Vieles beruht auf einem Kommunikationsproblem. Wer die ganze Rechnung macht, wird schnell sehen, dass er in fast jeder Fahrzeugkategorie besser beraten ist, wenn er eine Elektroversion wählt.