Eintauchen in sinnliche Klarheit

Wenn das Auto und seine Industrie sich neu erfinden, schlägt auch die Stunde der Gestalter: Belinda Günther, Leiterin Color & Trim, über die konsequent gelebte Designkultur bei Mercedes-Benz. Festgemacht am neuen EQE.

 

25. Mai 2022

 

Frau Günther, mit dem Modell EQE will Mercedes-Benz die sinnliche Ebene des Nutzers ansprechen. Wo kommt diese Ambition speziell zum Ausdruck?

Bei der Verbindung des analogen und des hyperdigitalen Luxuserlebnisses. Dadurch erleben wir beim neuen EQE ein intensives Spannungsfeld der Reize. 

 

Welche Formensprache gibt’s denn im Interieur des EQE zu entdecken? 

Ich finde es jedes Mal faszinierend, die Fahrertür eines EQE zu öffnen und in diese sinnliche Klarheit einzutauchen. Die Formensprache ist beinahe minimalistisch, ohne je kalt zu wirken. Das beruhigt die Sinne. Die Stilelemente sind aufs Wesentliche reduziert und vermitteln gerade dadurch eine gewisse Leichtigkeit und Sinnlichkeit. 

Minimalistisches und sinnliches Interieur des neuen Mercedes-Benz Modells EQE.

Die klare Formensprache im EQE wirkt leicht und schafft Übersicht. 

Minimalistisches und sinnliches Interieur des neuen Mercedes-Benz Modells EQE.

Die klare Formensprache im EQE wirkt leicht und schafft Übersicht. 

Minimalistisches und sinnliches Interieur des neuen Mercedes-Benz Modells EQE.

Die klare Formensprache im EQE wirkt leicht und schafft Übersicht. 

Was hat Ihr Fachbereich Color & Trim – zu Deutsch: Farbe und Schnitt – zum Gelingen des EQE beigetragen? 

Wir haben für den EQE eine progressive und luxuriöse Farb- und Materialwelt geschaffen. Wir wollten in erster Linie Oberflächen kreieren, die angenehm auf den Menschen wirken. Eine Mischung aus bekannten Materialien wie Leder und wegweisenden Materialien wie Neotex, dessen Anmutung ein Mix aus natürlichem Nubukleder und Hightech-Neopren ist. Farbkombinationen bieten wir entweder in dezenter Ästhetik oder – für Kunden, die das möchten – mit auffälligen Kontrasten. Eine Farbwelt aus warmen und kühlen Tönen. Der Luxus von Mercedes-Benz ist oft erst auf den zweiten Blick erkennbar. Etwa in Details wie den Ziernähten der Türverkleidungen oder bei den Oberflächen der Sitzbezüge mit ihren formfolgenden Perforationen. Beim EQE sind wir hier an die Grenzen des Machbaren gegangen. Das Endergebnis wirkt wie aus einem Guss – und geht Hand in Hand mit der Farbwelt des Exterieurs. Dabei handelt es sich oft um Feinheiten, die gar nicht auf Anhieb wahrnehmbar sind. Man nennt das auch «Second Reading»: stoffliche Dinge, die den Nutzer nicht anschreien, sondern auf der sinnlichen Ebene ansprechen.  

 

Luxus wird meist analog definiert. Welche digitalen Entsprechungen gibt es dazu? 

Natürlich den beeindruckenden Hyperscreen, der sich im Interieur über die ganze Fahrzeugbreite erstreckt. Mercedes-Benz ist der erste Hersteller, der ein 3D-geformtes Echtglas in dieser Breite zur Produktionsreife gebracht hat. Es repräsentiert eine hyperdigitale Welt. Und es fasziniert mich, was der Hyperscreen der Fahrerin, dem Beifahrer und sämtlichen Passagieren bieten kann. Durch ihn stellt das Fahrzeug Möglichkeiten zur Entspannung bereit, er steht aber auch für einfache Bedienung und absolute Verlässlichkeit. Dies alles mit Einstellungen, die sich einfach abrufen und speichern lassen. Unser «Ambientelicht» bildet ein weiteres Thema, das digital und analog verbindet. So lassen sich verschiedene Lichtszenarien einstellen – je nach Befindlichkeit, Stresslevel oder Charakter der Fahrstrecke. Autobahn, abendlicher Grossstadtverkehr oder eine Landstrasse in der Toskana – für all dies gibt es stimmungsvolle Lichteinstellungen. 

Innenausstattung des Mercedes-Benz EQE mit Hyperscreen.

Licht als Designelement – der EQE bietet verschiedene Lichtszenarien, je nach Stimmungslage des Fahrers. 

Innenausstattung des Mercedes-Benz EQE mit Hyperscreen.

Licht als Designelement – der EQE bietet verschiedene Lichtszenarien, je nach Stimmungslage des Fahrers. 

Welchen beruflichen Hintergrund haben die Spezialisten, mit denen Sie in der Designabteilung von Mercedes-Benz zusammenarbeiten?

Allein im Hauptsitz von Mercedes-Benz in Sindelfingen arbeiten 33 Designer im Color & Material Team – mit Ausbildungen quer durch alle Designstudiengänge. Ich selber habe ursprünglich Modedesign studiert und hatte damals noch keine Affinität zum Automobil. Wir beschäftigen aber auch Textil-, Grafik- und Industriedesigner. Wenn wir neue Leute einstellen, achten wir auf unterschiedliche Schwerpunkte ihrer beruflichen Hintergründe. 

 

Wie bringen Sie die analoge mit der digitalen Welt zusammen?

Bei uns begegnen sich ganz unterschiedliche Berufswelten, die gemeinsam etwas Einzigartiges erschaffen. Zum Beispiel kooperieren Personen aus unterschiedlichen Designbereichen – wie Kommunikation, 3D oder Gaming – häufig mit Kolleginnen und Kollegen aus Forschung und Entwicklung. Da nutzen wir wiederum das geballte Know-how, das in der Textiltechnologie, im KFZ-Technik-Engineering und im Maschinenbau steckt. So entsteht eine kompetitive Vielfalt, die ich als sehr bereichernd empfinde.  

 

Ist Leder als Sitz- und Oberflächenbezug immer noch ein Referenzmaterial, das man mit anderen Materialien nachbilden will?

Ja und nein. Es gibt durchaus auch andere Perspektiven. Das Material Neotex, das wir in der EQ-Reihe beim EQS eingeführt haben, ist nicht vergleichbar mit Leder – und soll es auch nicht sein. Es hat eine angeraute Struktur und überhaupt eine völlig andere haptische Qualität. Auch der Sitzbezugstoff Mikrofaser ist ein Material mit Alleinstellungsmerkmal, das bei vielen Kunden sehr gut ankommt. Aber natürlich steht Echtleder, eines der ältesten Materialien, die der Mensch nutzt, in breiten Kundensegmenten immer noch als Inbegriff für Luxus. Für andere Leute wiederum ist es im Winter zu kalt oder kommt als Tierprodukt nicht in Frage. 

 

Nimmt die Anzahl der Kunden zu, die dezidiert nach nachhaltigen Materialien fragen? 

Ja. Wir registrieren eine sehr positive Entwicklung, für die wir heute auch gute Antworten haben. Es gibt bereits Kunden, die das Thema Nachhaltigkeit sowie ethische Fragen als eine Art Hygienefaktor betrachten. Man merkt, dass die Kunden eine Bewusstseinsveränderung durchmachen. 

 

Wie strapazierfähig sind die Oberflächen und Materialien der Sitzbezüge? Und was tut Mercedes-Benz, um die Strapazierfähigkeit zu erhöhen?

Unsere Produkte müssen nicht nur gut aussehen, sondern vor allem auch funktionieren und auf Langlebigkeit ausgelegt sein. Das ist unser Qualitätsanspruch. Oberflächenmaterialien werden auf Herz und Nieren getestet. Es gibt standardisierte Tests wie die Martindale-Methode. Dabei fahren wir mehrere Tausend Scheuertouren auf einem Sitz. Wo Gebrauch und Abnutzung sehr hoch sind – etwa bei Sitzlehnen und Sitzkissen an der Einstiegsseite –, wird also getestet, bis sich alles in seine Bestandteile auflöst. Nur kommt es meist eben doch nicht so weit. (Lacht.) 

 

Jedes Automobil nimmt man zuerst übers Auge wahr. Welche Überlegungen stehen da bei Mercedes-Benz im Vordergrund? 

Unsere Produkte sind zwar auf Langlebigkeit ausgerichtet. Dennoch ist es wichtig, uns auch mit Modeströmungen und Farbtrends auseinanderzusetzen. Ein Produkt wird bei uns drei bis fünf Jahre lang geplant und entwickelt, bis es auf den Markt kommt. Wir beschreiten also einen schmalen Grat: Einerseits wollen wir den Zeitgeist treffen, andererseits Akzente setzen und Langlebigkeit für die Produkte garantieren. Das ist ein Balanceakt, der unsere Arbeit enorm spannend macht.