«Unsere aufbereiteten Batterien sind beinahe so gut wie neue»

Fabian Reissler, Battery Manager bei Mercedes-Benz Schweiz, über Meilensteine, Rohstoffkreisläufe und ehrgeizige CO2-Ziele einer nachhaltigen Mobilität.

8. August 2022

Herr Reissler, Kritiker attestieren speziell den Elektroautos einen besonders grossen CO2-Rucksack. Wie geht Mercedes-Benz mit dem Thema um?

Wir wollen als Konzern bis 2039 komplett CO2-neutral sein – von der Entwicklung über unsere Lieferketten bis zu Produktion und Vertrieb unserer Autos. Dafür ist entscheidend, dass wir auch Batteriezellen und Batterien so nachhaltig wie möglich herstellen.

 

Genau diese Produktion steht am stärksten in der Kritik. Wie kommt der Konzern da voran?

Seit 2021 setzt Mercedes-Benz CO2-neutral produzierte Batteriezellen ein. Damit allein erleichtern wir den CO2-Rucksack der gesamten Batteriefertigung um rund ein Drittel.
 

Woher stammen die Batterien?

Für die Herstellung der Batteriezellen haben wir unser Partnerunternehmen Farasis Energy Co. beauftragt – ein Hightech-Unternehmen mit Sitz in Kalifornien und China. Die Montage der Batterie erfolgt dann in den weltweit sechs Batteriewerken von Mercedes-Benz. Auch diese werden unter Einhaltung hoher Umweltstandards und CO2-neutral betrieben.


Die Batterie ist das teuerste Teil eines Elektroautos. Ihre Kapazität kann nach gewisser Nutzungszeit nachlassen. Wie lässt sich das Fahrzeug effizient und umweltfreundlich fahrbereit halten?

Wir garantieren bei unseren Modellen eine Batterielebensdauer von bis zu 10 Jahren oder 250‘000 Kilometern. Aber auch bei einer Topqualität lassen sich einzelne Zelldefekte nicht vermeiden. Die Frage ist, wie man am intelligentesten damit umgeht. Die einfachste Lösung wäre, die Batterie zu entsorgen und eine neue einzubauen. Ein solches Verhalten wäre aber nicht nachhaltig, da schlecht für die Ökobilanz der E-Mobilität. Deswegen haben wir ein Remanufacturing-Konzept: Bei uns werden Hochvoltbatterien mit Defekten nicht weggeworfen, sondern wieder instandgesetzt.

 

Wie erfolgt das genau?

Die Batterie durchläuft zuerst einen Diagnose-, dann einen Zerlegungs- und einen zweiten Fertigungsprozess. Nach Lokalisieren einzelner defekter Zellen werden diese ausgetauscht, anschliessend ist die Batterie erneut einsatzfähig. Das Bemerkenswerte an diesen sogenannten Remanufacturing-Batterien ist, dass sie beinahe Neuteilqualität haben.

 

Wie viele Batterien gehen aus der Schweiz zurzeit ins Remanufacturing, und welchen Aufwärtstrend erwarten Sie diesbezüglich?
Zurzeit sind das noch sehr wenige. Schliesslich bietet Mercedes-Benz erst seit 2015 vollelektrische Fahrzeuge an, die allermeisten Batterien sind also noch gut in Schuss. Doch auf die Zeit in ein paar Jahren, wenn bedeutend mehr Hochvoltbatterien in die Aufbereitung kommen werden, sind wir gut vorbereitet.


Auch nach dem Überschreiten der Lebensdauer im Fahrzeug lassen sich Batterien weiterverwenden – etwa als Stromspeicher in Gebäuden, um den Solarstrom besser zu nutzen. Wie handhabt Mercedes-Benz diese «Second Life»-Phase einer Batterie?
Das Remanufacturing wäre nicht komplett ohne diese «Second Life»-Option. Es gibt Batterien, die noch eine hohe Restkapazität aufweisen, aber nicht für den erneuten Einsatz im Auto aufbereitet werden können. Im stationären Betrieb, wo geringe Kapazitätsverluste nur eine untergeordnete Rolle spielen, sind sie aber auch nach der vom Hersteller garantierten Betriebszeit noch voll einsatzfähig. Ein wirtschaftlicher Betrieb im stationären Bereich ist schätzungsweise für rund zehn weitere Jahre möglich.

Und was macht Mercedes-Benz aus diesem Potenzial?
Wir haben für «Second Life»-Anwendungen eine Tochtergesellschaft gegründet – die Mercedes-Benz Energy GmbH im deutschen Kamenz. Ihr Kerngeschäft ist der gesamte Lebenszyklus einer Fahrzeugbatterie, zu dem auch das «Second Life» gehört. Ein zweites Leben erhalten Batterien unter anderem in einem 1400-kWh-Stromspeicher in unserer Factory 56, die rund 30 Prozent ihres Strombedarfs aus einer Solaranlage auf ihrem Dach bezieht.

 

Energiespeicher der Factory 56

Stationärer Energiespeicher der Mercedes-Benz Energy GmbH in der Factory 56 in Sindelfingen.

Luftbild der Factory 56 von Mercedes-Benz.

Bis zu 75% weniger CO2-Ausstoss: Factory 56 am Standort Sindelfingen.

Eine wichtige Station der Kreislaufwirtschaft ist das Recycling. Welchen Ansatz verfolgt Mercedes-Benz hier?

Nachhaltigkeit ist bei uns fester Bestandteil der Unternehmensstrategie. Darum fängt Recycling bei Mercedes-Benz nicht erst beim Wiederaufbereitungsprozess an, sondern schon in der Entwicklung. Wir streben von Anfang an ein zirkuläres Design für unsere Batterien an. Die Verfügbarkeit von Rohstoffen sichert man künftig unter anderem durch das Schliessen von Kreisläufen. Unsere Batterie-Recyclinganlage in Kuppenheim, die 2023 in ihren CO2-neutralen Betrieb geht, ist ein erster Schritt. Weitere Anlagen in China und in den USA sollen folgen.

 

Wie erreichen Sie die angestrebte Recyclingquote von 96 Prozent?

Wir setzen dabei nicht auf eine thermische Aufbereitung mittels eines pyrometallurgischen Verfahrens. Verbrennen ist beim Recycling nie eine gute Idee, weil viel Substanz verloren geht, die nicht zurückgewonnen werden kann. Wir arbeiten vielmehr mit einer Kombination aus zwei Recyclingprozessen: mechanische Zerlegung und chemische Aufbereitung, ein sogenanntes hydrometallurgisches Verfahren.

 

Und was ist mit den restlichen 4 Prozent, die nicht rezykliert werden können?

Auch daran arbeiten wir. Bei jedem Recyclingverfahren kommt es gezwungenermassen zu Prozessverlusten: Stoffe können in Filtern hängenbleiben oder gehen bei der Zerkleinerung verloren. Wir sind dabei, auch hier bald eine weitere Optimierung zu erzielen.

 

Im Schweizer Batterie-Recycling dominiert seit Jahren die Firma Batrec den noch relativ kleinen Markt – sie erreicht aber lediglich eine Recyclingquote von 60%. Damit kann Mercedes-Benz Schweiz längerfristig nicht zufrieden sein.

Ja, es kommt aber bereits viel Bewegung auch in den hiesigen Recyclingmarkt. Ich rechne damit, dass neue Anlagen künftig auch in der Schweiz Recyclingquoten von etwa 90 Prozent erreichen werden.

 

Neu gewonnene Rohstoffe überwiegen gegenüber Rezyklaten noch klar bei der Herstellung von Hochvoltbatterien. Wann wird sich dieses Verhältnis ändern?

Es gibt klare EU-Vorgaben zur Recycling-Effizienz, also wie viel Rezyklat eine Batterie künftig enthalten muss. Bis 2035 zum Beispiel sind das 10% bei Lithium, 12% bei Nickel, 20% bei Kobalt und 85% bei Blei. Unser Ziel ist allerdings, die EU-Vorgaben zu übertreffen.