«Es zählt nur der
nächste Titel»

Toto Wolff leitet den Formel-1-Rennstall Mercedes-AMG mit rund 2000 Angestellten. Der Wahlschweizer war kürzlich in Zürich zum Interview und sprach über Gehaltskürzungen für Fahrer und das Foto seines Erzrivalen, das er immer bei sich hat.


27. April 2021
 

Toto Wolff, von den 138 Rennen seit 2014 hat Ihr Team 102 gewonnen, das sind drei Viertel. Stranguliert Mercedes-AMG die Formel 1?

Es besteht mit Sicherheit die Gefahr, dass solche Siegesserien zu wenig Abwechslung und zu viel Vorhersehbarkeit bringen. Wir haben das ja schon in den Schumacher-Jahren gesehen, als Ferrari sechsmal hintereinander die Formel 1 gewonnen hat.


Was tun Sie, damit die gelangweilten Zuschauer sich nicht irgendwann abwenden?

Dazu gehört, bescheiden mit dem eigenen Erfolg umzugehen und der Konkurrenz den notwendigen Respekt zu erweisen. Nicht zu steif und «corporate» rüberzukommen, auch über sich selbst lachen zu können. Und wir versuchen, guten Content zu liefern. Lewis Hamilton ist ja weit mehr als der erfolgreichste Rennfahrer, er ist auch eine stark polarisierende Persönlichkeit. Und Polarisieren ist immer gut gegen Langeweile. Es geht auch nicht mehr nur um den Kampf Mercedes-AMG gegen Ferrari und Red Bull, sondern auch um den Generationswechsel Verstappen vs. Hamilton. Und um die Dramen rund um die Teams und abseits der Rennstrecke. Formel 1 liefert so viel Stoff, dass es schlussendlich nicht mehr nur um das Ergebnis der Rennen selbst geht, sondern auch um die Unterhaltung drum herum.


Massive Regeländerungen in den nächsten beiden Jahren und ein Kostendeckel sollen die Teams wieder näher zusammenbringen und für mehr Spannung im Wettbewerb sorgen. Wie realistisch ist das?

Wenn wir alle unter dem gleichen Kostendeckel operieren, wird es mittel- bis langfristig sicher mehr Chancengleichheit geben. Natürlich haben die grossen Teams dann immer noch einen Vorteil, dass sie ihre langjährigen Investitionen weiterhin in Performance umsetzen können. Aber ich denke, es wird wesentlich mehr Abwechslung bei den sportlichen Ergebnissen geben.


Bisher geben Sie rund 350 Millionen Euro aus, in dieser Saison dürfen es nur noch 145 Millionen US-Dollar sein. Wo sparen Sie dieses Geld ein?

Es wird etwas mehr sein, weil Marketing, die Fahrer und drei Top-Manager pro Team vorerst ausgenommen sind vom Kostendeckel. Aber wir werden massive Einschnitte haben im technischen Bereich. Die drei grossen Teams Mercedes-AMG, Ferrari und Red Bull werden restrukturieren. Wir etwa lagern einen beachtlichen Teil unserer Belegschaft aus in die Applied Science Division, einen stark wachsenden Bereich, mit dem wir unser Know-how aus der Formel 1 monetarisieren.


Das heisst, Sie erfüllen den Kostendeckel, indem Sie Ihre Mitarbeiter in eine andere Firma outsourcen, sie aber dann immer noch für Mercedes-AMG arbeiten? Das ist nicht Sinn der Sache.

Nein, es muss für diese Leute wirklich echte Projekte geben. Wir redesignen etwa die Bikes für den Profi-Radsport oder helfen bei der Entwicklung der Foils für die Boote im America’s Cup. Und wir liefern Komponenten an die Formel-1-Teams von Aston Martin und Williams. Damit verhindern wir auch, dass wertvolle Mitarbeiter mit Hightech-Know-how zur Konkurrenz abwandern oder in andere Industrien. Und vor allem verbessert es die Erfolgsrechnung dramatisch.


Dann sind die Formel-1-Teams keine Geldvernichtungsmaschinen mehr?

Unser Team war – anders als die anderen – schon die letzten beiden Jahre knapp in der Gewinnzone. Diese Saison wird ein Übergangsjahr, aber ab 2022 rechnen wir mit einer 30-prozentigen Marge und entsprechendem Millionengewinn.

Toto Wolff zu Besuch in Zürich. (© Paolo Dutto)

Toto Wolff zu Besuch in Zürich. (© Paolo Dutto)

Ihr Top-Fahrer Lewis Hamilton verdient rund 25 Millionen Euro. Ab 2023 darf voraussichtlich jedes Team diese Summe nur noch für beide Fahrer zusammen ausgeben. Wird es nicht darauf hinauslaufen, dass der Rennstall einem Spitzenpiloten die 25 Millionen bezahlt, und den zweiten Fahrersitz lässt er sich sponsern von einem Milliardär, der will, dass sein Sohn Formel 1 fährt?

Es gibt verschiedene Ansätze. Zum einen werden auch die kleineren Teams Zugang bekommen zu Top-Fahrern, weil sich die grossen Teams nicht mehr überbieten können mit den Gehältern. Zweitens: Wenn man unbedingt diesen Superstar haben will, der in der Gegend von 25 Millionen kostet, dann muss man viel Geld in die Jugendförderung stecken. So bekommt der Nachwuchs eine Chance, sich mit den Arrivierten zu messen. Und die dritte Variante ist: Man setzt zwei ebenbürtige Piloten mit ähnlichen Gehältern ins Auto. Zielt man auf die Konstrukteurs-WM, ist das der richtige Weg.


Wie viel kostet es eigentlich, Formel-1-Fahrer zu werden?

Es braucht anfangs sicher mal ein paar Jahre Kartsport. Das kostet auf internationalem Niveau etwa 200 000 Euro pro Saison. Dann kommt die Formel 4, die 350 000 Euro pro Jahr kostet, die Formel 3 mit 750 000 Euro, schliesslich die Formel 2 mit 1,5 Millionen Euro.


Mit Mick Schumacher kehrt diese Saison ein grosser Name in die Formel 1 zurück. Welche Chancen geben Sie ihm?

Der Name ist ein Vorteil, aber auch eine Bürde. Mick hat riesige Schuhe zu füllen. Sein Vater ist wahrscheinlich der ikonischste Rennfahrer, den es je gab, und eine grosse Persönlichkeit. Und deswegen muss man dem Jungen Zeit geben. Er muss bei Team Haas erst einmal lernen. Das wird er tun. Und dann wird man sehen, ob er den Sprung in ein Top-Team schafft und um Siege und den WM-Titel mitfahren kann.


Immer mehr Autohersteller haben angekündigt, aus dem Geschäft mit Verbrennungsmotoren auszusteigen. Wie lange wird es die Formel 1 noch geben?

Die Formel 1 wird es immer geben, solange der sportliche Wettbewerb Unterhaltung bietet. Und solange sie den Automobilherstellern nutzt. Sie war immer das schnellste Laboratorium der Welt. Wir haben heute schon die effizientesten Hybrid-Motoren der Welt. Wir haben das nur schlecht verkauft. Aber unsere Motoren setzen 50 Prozent der Energie des Kraftstoffes um in Bewegung. Normale Autos schaffen 30 Prozent. Die nächste Generation Rennmotoren ab 2025 wird noch einmal einen deutlich höheren elektrischen Anteil haben. Und wenn Hightech in zehn Jahren rein elektrisches Hightech bedeutet, dann werden wir auch diesen Bereich besetzen.


Das hat bereits die Formel E getan. Ist eine Fusion eine strategische Option?

Ich glaube nicht, zum jetzigen Zeitpunkt. Die Formel 1 braucht die Formel E nicht, um fortzubestehen, sie ist deutlich stärker.


Sie leiten einen Rennstall mit 2000 Angestellten, darunter vermutlich überdurchschnittlich viele Diven und Egos. Wie führt man so ein Unternehmen?

Die Besten sind nicht immer ganz einfach, das stimmt, und Egos und Teamwerte zu vereinbaren, ist auch nicht immer trivial. Wir haben einen strikten Grundsatz, den wir von den All Blacks übernommen haben, dem besten Rugby-Team der Welt. Der heisst: «No Dickheads.» Das geniale Arschloch hat bei uns keinen Platz. Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, muss jeder Einzelne bei uns kompetent sein in seinem Fachbereich, andererseits müssen wir als Team funktionieren. Das bedeutet nicht, dass man dauernd herumschmusen muss, ganz im Gegenteil. Um die richtige Entscheidung zu treffen, ist der Meinungsaustausch unheimlich wichtig – und durchaus auch mal konfrontativ. Aber er muss zivilisiert und sachlich sein. Wir nennen das bei uns «Tough Love».


Stimmt es, dass jeder in Ihrem Team ein Bild seines direkten Gegenübers im gegnerischen Rennstall mit sich trägt, um die persönliche Auseinandersetzung mit dem Rivalen anzuspornen?

Ja, das habe ich schon sehr früh gefördert: Dass man sich jeden Tag bewusst wird, dass es jemanden gibt, der den gleichen Job an einem anderen Ort macht. Dieses Feindbild funktioniert als Motivation unheimlich gut, weil man immer vor Augen hat, wen es zu schlagen gilt.


Und welches Bild haben Sie dabei? Ferrari-Chef Mattia Binotto oder Christian Horner von Red Bull Racing?

Das verrate ich nicht, weil ich der Person nicht die Genugtuung geben will, dass ich sie als Erzrivalen ansehe. Es ist keine Person aus der Formel 1, sondern aus der Wirtschaft. Aber sie ist unter meinen Handyfotos, sodass ich sie regelmässig sehe.


In Ihrem Zuhause steht ein WM-Pokal, und zwar so gedreht, dass Sie auf die leere Stelle schauen, wo der nächste Champion eingraviert wird. Warum?

Das ist tatsächlich bei uns zu Hause das einzige Stück, das auf die Arbeit hinweist. Es gibt sonst keine Memorabilia, weil das Relikte der Vergangenheit sind. Und ja, der Pokal ist immer so gedreht, dass ich diese leere Stelle sehe. Weil die vergangenen Erfolge, das Ausruhen auf Lorbeeren keinerlei Wert haben. Es zählt nur der nächste Titel.

Petrolhead und Unternehmer

Zu einer Karriere als Rennfahrer habe es «mangels Talent, Geld und Körpergrösse» nicht gereicht, sagt Toto Wolff (49). Dafür besitzt er ein Drittel des Formel-1-Teams Mercedes-AMG (die anderen beiden Drittel gehören Daimler und dem britischen Chemieunternehmer Jim Ratcliffe). Unter Wolffs Leitung wurde der Rennstall sieben Mal Weltmeister. Auch am Formula-E-Team von Mercedes-Benz ist er mit 30 Prozent beteiligt sowie an Aston Martin und diversen Start-ups. Der gebürtige Wiener wohnt mit seiner Familie im Thurgau.

mercedesamgf1.com/de

Dieses Interview ist erstmalig in der Zeitschrift BILANZ erschienen.