Leise, bitte!

Nein, das Rad müssen wir für das Elektroauto nicht komplett neu erfinden. Und doch gibt es für die Entwickler einiges zu tun. Was sind die speziellen Herausforderungen – und was die Lösungen?


1. Oktober 2021

 

Weil kaum noch Motorensound zu hören ist, wird bei E-Autos das Abrollgeräusch der Reifen zur lautesten Lärmquelle. Leise, tragfähig, viel Grip, aber möglichst wenig Rollwiderstand: Führende Hersteller bieten bereits Reifen an, die den neuen Anforderungen entsprechen.

 

Laufruhe

Wenn der Motor nur noch leise summt, werden Reifengeräusche zur Störquelle: Schwingungen im Hohlraum des Reifens übertragen sich auf den Fahrzeuginnenraum. Absorber aus Polyurethanschaum auf der Innenseite der Lauffläche bringen bis zu neun Dezibel Lärmreduktion (also fast eine Halbierung der empfundenen Lautstärke) und fördern erst noch den Fahrkomfort. Auch Akustikdesigner sind gefordert: Da ein Pneu nicht komplett geräuschlos rollen kann, soll der Klang zumindest so angenehm wie möglich sein.

 

Rollwiderstand

Die Reichweite der Elektroautos ist immer noch Thema Nummer eins. Mit Leichtlaufreifen lässt sie sich spürbar erhöhen. Um wie viel? Der Tessiner E-Mobilitäts-Pionier und Autokonstrukteur Marco Piffaretti sagt: «Drei bis vier Prozent liegen hier drin. Je nach Batteriekapazität bringt das zehn bis zwanzig Kilometer mehr Aktionsradius pro Ladung.» Grosser Durchmesser, schmale Lauffläche, bis zu fünf Längsrillen, steife Profilrippen, viele Lamellen, aber keine Querrillen sind relevante Faktoren, mit denen Leichtlaufreifen punkten können.

 

Übergewicht

Wegen ihrer schweren Batterien bringen E-Autos mehr Gewicht auf die Waage als ihre konventionellen Pendants. In Topmodellen verbaute 100-kWh-Energiepakete wiegen 600 Kilogramm und mehr. Somit brauchen die Reifen solcher Fahrzeuge eine höhere Tragfähigkeit. Das erfordert eine stärkere Seitenwand und robustere Gummimischungen. Auch die Gewichtsreduktion des Reifens selbst ist Gegenstand der Entwicklung. So wollen einige Hersteller mit besonders leichten Materialien wie Aramid oder Kevlar dem Pneu an den Speck.

Elektroauto-Reifen

Emissionsfreie Mobilitätszukunft: Elektroautos stellen neue Ansprüche an die Reifen.

Verschleiss

Elektroautos verfügen über ein ansatzlos hohes Drehmoment und rekuperieren kräftig, sobald der Fuss vom «Gaspedal» geht. Beides kann zu einem schnelleren Verschleiss der Reifen führen als beim Benziner oder Diesel. Wie widerstandsfähig ein Reifen gegen Abrieb tatsächlich ist, hängt grösstenteils von der verwendeten Gummimischung ab. Mit abrieboptimierten Polymermischungen und der Verwendung des Kieselsäuresalzes Silica kann ein Reifen an Lebensdauer gewinnen, ohne an Traktionsfähigkeit einzubüssen.

 

Sicherheit

Kann ein Leichtlaufreifen auch bezüglich Sicherheit top sein, insbesondere bei der wichtigen Nasshaftung? Geringer Rollwiderstand und optimaler Grip – wie gross ist da der Zielkonflikt? Marco Piffaretti: «In den letzten Jahren hat sich bei den Gummimischungen enorm viel getan. Dadurch ist es heute möglich, einen energieeffizienten Reifen herzustellen, der gleichzeitig sehr guten Grip gewährleistet.»

 

Feinstaub

Ein Reifen verliert im Laufe seiner Lebensdauer bis zu einem Drittel seiner Masse. Der grösste Teil davon verteilt sich als Feinstaub in der Luft. Das höhere Gewicht und das stärkere Drehmoment der Elektroautos tragen das Ihre zu dieser Entwicklung bei. Autohersteller denken bereits über neu gestaltete Radkästen nach, die einen Unterdruck beim Fahren erzeugen, welcher den Abrieb an bestimmten Stellen sammelt.

Marco Piffaretti, E-Mobilitäts-Pionier

«Drei bis vier Prozent mehr Reichweite können Leichtlaufreifen bringen. Je nach Batteriekapazität bringt das einen zehn bis zwanzig Kilometer grösseren Aktionsradius.»

Marco Piffaretti, E-Mobilitäts-Pionier